Bericht: Mit Rohkost von Südtirol in die Tropen und zurück

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Autor: Anonym im April 2016


Meine erste und gleich sehr innige Bekanntschaft mit Rohkost machte ich an meinem zwanzigsten Geburtstag Ende April 1991. Ich war auf einer abgelegenen Finca in Nordportugal bei einer deutschen Aussteigerfamilie gelandet, welche Rohkost praktizierte. Von Anfang an war ich von der Natürlichkeit und damit verbundenen Logik der Rohkost angetan. Meine Gastgeber gaben mir Guy-Claude Burger und Helmut Wandmaker zu lesen. Die Hilfestellungen in diesen Bücher, das Vorbild durch die Familie und die Abgelegenheit der Farm (zwei Eselstunden bis zum nächsten Dorf von 500 Einwohnern) machte es mir ein Leichtes, von einem Tag auf den anderen Rohköstler zu werden.

Portugal war eine tolle Erfahrung. Wir arbeiteten viel im großen Gemüsegarten, versorgten die Tiere, lebten bescheiden (kein Telefon, Wasser aus einem dünnen Rinnsal in freier Natur und einzige Stromquelle war eine solarbetriebene Autobatterie) und der Jahreszeit angepasst sehr genügsam in Sachen Ernährung. Wir aßen zweimal am Tag, vor allem Obst und Nüsse (ich erinnere mich an ausgezeichneten Riesenmandeln), etwas Gemüse, Salat und Sprossen, manchmal Eier und schrumpelige, getrocknete Feigen vom Vorjahr. Die Imkerei lieferte Pollen, Dronenbrut und später zur Schleuderzeit viel Honig. Meine Gastgeber holten sich ein- bis zweimal im Monat rohes Fleisch, ich aber konnte und wollte mich für das blutige Steak nicht begeistern.

Als ich nach zehn Wochen wieder in mein Heimatdorf in Südtirol zurückkehrte, fühlte ich mich mental so gut wie nie zuvor, jagte aber meiner Familie aufgrund meines Aussehens einen gehörigen Schrecken ein. Ehrlich gesagt, erschrak ich selbst ein wenig vor meinem lange nicht mehr gesehenen Spiegelbild und der Anzeige auf der Waage. Als ich nach Portugal aufgebrochen war, war ich gut durchtrainiert und wog 67 Kilogramm, zurück kam ich mit 52 Kilogramm (bei 1,78 Meter). Ich sah wie ein Drogensüchtiger aus und war auch einer. Meine Droge waren Früchte. Obwohl in Portugal eigentlich besser gelernt, aß ich die nächsten zwei bis drei Jahre vegan und einseitig obendrein: 90 bis 95% Obst, wenig Nüsse und noch weniger Gemüse und Salat. Ohne Frage eine Mangeldiät und doch denke ich etwas wehmütig an die geistigen Höhenflüge jener Zeit zurück.

Als mein erster Rohkostwinter kam, fror ich, wie ich es nie zuvor gekannt hatte und ich floh von einem Tag auf den anderen nach Brasilien. Es war eine ausgezeichnete Entscheidung: Unter der nie getrübten Tropensonne, in der Hängematte schaukelnd und bestens mit Mangos in vielen himmeljauchzenden Geschmacksrichtungen versorgt, ließ es sich wunderbar über das kalte Europa philosophieren ... bis es im Sommer wieder zurück in die Alpen ging. Es war in meinem zweiten Winterhalbjahr im Nordosten Brasiliens, als das Verlangen nach Eiweiß so stark wurde, dass ich mir auf dem Markt von einem alten, blutverschmierten Holztisch, welcher von zahlreichen Fliegen umschwirrt wurde, das erst beste Stück Fleisch kaufte, damit um die nächste Ecke flitzte und gierig hineinbiss. Nüchtern betrachtet eine unappetitliche Angelegenheit und deshalb beugte ich von da an vor und aß zirka einmal im Monat mageres Fleisch in Form von Tartar oder Carpaccio, oder auch Fisch, damals meist als in Zitrone mariniertes Kabeljaufilet.

Rohkost ist gefährlich: 1994 fiel ich beim Mittagessen vom Kirschbaum und zog mir einen Beckenbruch zu. Ich war für einen Monat flachgelegt und hatte große Lust auf Bananen, die ich auch in großen Mengen verdrückte. Die Heilung verlief normal, d.h. ohne Komplikationen und weder schneller noch langsamer als allgemein üblich. Als ich wieder auf die Beine kam, hatte ich einige Kilo zugenommen und wog das erste Mal seit Rohkostbeginn wieder über 60 Kilogramm. Ein Gewicht, welches ich die nächsten drei Jahre beibehalten sollte.

Ich verbrachte diese vorwiegend in der Toskana, wo ich eine Ferienwohnungsanlage betreute. Das Anwesen mitten in den Weinbergen des Chiantis mit vielen herrenlosen Feigenbäumen in der Nähe war vom Frühsommer bis spät in den Herbst hinein ein Traum für Rohköstler. Gegen Ende meiner dritten Saison hatte mein Bruder einen schweren Motorradunfall. Ich wurde nach Hause gerufen, um ihn an der Tankstelle und Kleinwerkstatt zu vertreten. Auf Grund dieses Ereignisses unterbrach ich meine bis dahin rund 6 Jahre andauernde Rohkost. Ohne es auch nur zu versuchen, schien mir meine damals praktizierte Rohkost mit immer noch nahezu 90% Früchten nicht ausreichend, um im Betrieb zehn Stunden lang meinen Mann zu stehen. Ich aß weiterhin vorwiegend roh, hatte aber täglich eine warme Mahlzeit eingeplant. Es sollte eineinhalb Jahre dauern, bis ich wieder zum Rohköstler wurde, denn nachdem ich im Familienbetrieb wieder entbehrlich geworden bin, probierte ich erst noch die Küche in der Toskana, und auf meiner Winterreise jene von Java und Bali. Geläutert durch das abgeschwächte Wohlgefühl kehrte ich Anfang 1998 wieder zur Rohkost zurück.

Im Herbst des gleichen Jahres passierte mir ein zweiter Rohkostunfall, diesmal in Form einer Pilzvergiftung. Dies fällt wohl unter die Rubrik „Ausnahmen bestätigen die Regel“, denn im Normalfall ist der Geschmackssinn mit Rohkost so zuverlässig wie jede gute Pilzfibel. Mir ist über all die Jahre auch nichts annähernd Vergleichbaren passiert, weder mit Pilzen (die seit diesem Zwischenfall in meiner Beliebtheitsskala weit abgerutscht sind), noch mit anderer Rohkost. Vielmehr kann ich für mich bestätigen, dass der Instinkt mit Rohkost sehr gut funktioniert, d.h. alles was gut schmeckt, ist auch gut für den Körper und alles was nicht schmeckt, schadet dem Körpe ... bis eben auf diesen einen Fall. Ich konnte den Pilz im Nachhinein nicht eindeutig zuordnen, es handelte sich vermutlich um einen Verwandten des Steinpilzes, den Symptomen nach – nach einer Stunde setzte starker Durchfall und Erbrechen ein – könnte es der Satanspilz gewesen sein. Das Exemplar war recht groß, weil schon etwas älter und der Hut, den ich gegessen hatte, wog vermutlich gute 150 Gramm.

Ich lies mich ins Krankenhaus bringen, in der Annahme, dass dort der Magen ausgepumpt wird. Kann nicht schaden, dachte ich mir. In der Klinik in Siena hieß es jedoch, dass man so was nicht mehr macht. Unzufrieden, aber mit wenig Widerstand - dafür ging es mir in diesem Moment einfach zu schlecht - lies ich mich an den Tropf hängen. Es waren dies die einzigen intravenös oder oral eingenommenen Medikamente in den letzten 25 Jahren, abgesehen von der ein oder anderen Betäubungsspritze beim Zahnarzt. Wenn ich krank bin, vertraue ich dem Selbstheilungsmechanismus und helfe lieber mit Bettruhe und Schlaf als mit Medikamenten. So zum Beispiel auch, als ich ein paar Monate nach diesem Zwischenfall in Nordthailand an Denguefieber erkrankte. Die Pilzvergiftung war nicht wirklich gefährlich und nach zwei bis drei Tagen ging es mir deutlich besser. Ich entließ mich aus dem Krankenhaus, obwohl man mich noch ein paar Tage dabehalten wollte. Die Amylase- und Lipase-Werte der Bauchspeicheldrüse spielten noch etwas verrückt, aber wie gesagt, ich bin ein schlechter Kunde der Pharmaindustrie.

Knapp acht Jahre nach Portugal begegnete ich zum ersten Mal wieder anderen Rohköstlern. Ich hatte nie nach unserer Spezies gesucht. Das wäre in der damaligen Internetsteinzeit wohl auch etwas schwierig gewesen. Doch dort in Sumatra und einem besonders guten Futterplatz war es gar kein so bemerkenswerter Zufall, dass ich Bekanntschaft mit drei italienischen Rohköstlern machte. Sie waren Vegan-Rohköstler und für mich war es natürlich sehr interessant, mich mit ihnen auszutauschen. Die drei waren schon öfters in der Region unterwegs gewesen. Der Ältere von ihnen lebte in jener Zeit sogar ganzjährig in Sumatra. Sie wussten von anderen Rohköstlern in der Gegend. Angeblich viele Franzosen, aber sie kannten auch den ein oder anderen Deutschen und Österreicher. Aus Zeitgründen kam ich damals aber mit niemand weiteren mehr zusammen. Der Kontakt zur Frau in der Dreiergruppe blieb durch gelegentliche Telefongespräche aufrecht. Zwei Jahre später wurde sie meine Freundin.

Von 2000 bis 2005 hielt ich mich fast ausschließlich in den Rohkostparadiesen Thailand und Sumatra auf. Wenn ein Urlaub ein bisschen länger dauert, taucht schon mal die Frage auf, wie man so etwas finanziert. Nun, damals waren Thailand und vor allem Indonesien günstig und ich nicht anspruchsvoll. Ein kleines Bungalow am Strand oder in schöner Natur und etwas Rohkost reichten mir eigentlich schon. Meine damaligen Grundnahrungsmittel waren Ananas und zur Saison Durian. Ananas aß ich meist nicht mehr als 3 bis 4 mittelgroße Stücke am Tag und bei Durian waren es noch nicht mal 500 Stück im Jahr. Zuviel Durian sind ohnehin nicht gesund. Natürlich habe ich noch 10 bis 20 andere Sachen gegessen. Wäre ja schade gewesen, wenn nicht. Wasser habe ich keines getrunken. Um Kosten zu sparen, verzichtete ich beim Reisen auf Flüge und die Kleidung ist in den Tropen bekanntlich auch kein großer Kostenfaktor. Ergab alles in allem ein Durchschnittstagesbudget von 10 Euro und dieses wurde mit Ersparnissen und etwas Börsenglück abgedeckt.

Meine Ernährung wurde nach körperlichen Wohlbefinden gemessen immer besser und 2003 fing ich an, regelmäßig Kraft- und Lauftraining zu betreiben, vor allem um den Skeptikern und auch mir selbst zu beweisen, dass dies mit Rohkost möglich war. Durian als Treibstoff und regelmäßiger Fischverzehr (meist als frisches Sardellentartar) als Muskelbaustoff und schafften dafür gute Rahmenbedingungen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Der allgemeine Zustand meiner Freundin entwickelte sich dagegen in die komplett andere Richtung. Nach wie vor vegan und roh, hatte sie zunehmend mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Sie ließ sich von mir leider nicht dazu überreden tierische Rohkost oder auch eiweißreiche Kochkost in ihrem Speiseplan einzubauen. Ich respektiere den ethischen Ansatz von Veganern, aber unsere Beziehung litt doch sehr unter ihrer körperlichen Schwäche und den mentalen Aussetzern. So trennte ich mich schließlich von ihr.

Später lernte ich beim Joggen meine thailändische Frau kennen. Den Tsunami 2004 hatten wir zum Glück um zwei Wochen verpasst und so konnten wir 2005 heiraten. Wie das mit Ehefrauen so ist, befand sie, dass es jetzt mit meinem süßen Nichtstun ein Ende sein müsse. Wir gingen nach Südtirol, wo ich seither in verschiedenen Hotels als Rezeptionist und Hotelsekretär gearbeitet habe bzw. arbeite. Zuerst lebten wir in meinem Bergdorf, keine leichte Zeit für meine Frau, seit 2007 in Meran, wo es ihr besser gefällt. 2006 kam unsere erste, 2008 die zweite Tochter und 2012 unser Sohn auf die Welt.

Meine Familie hat nicht den Rohkostweg eingeschlagen. Meine Frau macht zwischendurch mal ein paar Tage eine Obst-Gemüse-Diät, wenn sie ein paar Pfunde abnehmen will oder sie mit ihrem Hautbild nicht zufrieden ist, liebt aber zu sehr die thailändische Küche, als dass sie darauf verzichten möchte. Auch meine Kinder können essen was sie wollen, abgesehen von Einschränkungen, die besonders ungesunde Kost betrifft. Ich finde, dass die Freude am Essen von zu zentraler Bedeutung ist, als das man sich oder gar andere zu etwas zwingen sollte. Und obwohl ich Rohkost für die beste Ernährungsform halte, gibt es wie gerade geschildert, auch Beispiele, wie sich durch falsche Rohkost der gesundheitliche Nutzen schnell ins Gegenteil umkehren kann. Vielleicht wollen meine Kinder später einmal aus freien Stücken ihr Essverhalten mehr Richtung Vater ändern, aber das ist nicht wirklich wichtig. Ich unterscheide bei Freunden und Bekannten nicht zwischen Koch- und Rohköstler. Umgekehrt spielt in meinem Bekanntenkreis meine Ernährungsweise auch keine Rolle.

Eine Rolle spielt jedoch, ob man sich 100% roh ernährt oder nicht. In den ersten ein bis zwei Jahren meiner Ehe habe ich aus Kompromissbereitschaft meine reine Rohkostzeit ein zweites Mal unterbrochen. Die Ausnahmen waren viel seltener als bei der ersten Unterbrechung, aber schon eine gekochte Mahlzeit pro Woche genügte, um den Unterschied deutlich zu spüren. Ich denke, Rohkost ist für die Verdauung in etwa das, was saubere Luft für die Lungen ist. Wenn jemand statt zwei Päckchen am Tag nur eine Zigarette raucht, dann ist das natürlich viel besser, aber für die Lungen immer noch zu viel. Und so reicht auch für die Verdauung schon wenig Kochkost, um die Vorteile der Rohkost entscheidend einzuschränken. Mittlerweile bin ich wieder knapp 10 Jahre clean (oder auf dem Trip, je nachdem wie man es sehen will) und auch wenn es in Europa in Sachen Rohkost in den kalten Monaten relativ eintönig ist, kann ich mir nicht vorstellen, irgendwann wieder von der Rohkost abzukommen. Für mich ist sie perfekt.