Bericht: Von der veganen zur instinktiven Rohkost
Bis zu der Geburt des ersten Kindes, eines Jungen, habe ich mir wenig Gedanken über das tägliche Essen gemacht. Bei meinen Eltern habe ich eine gutbürgerliche deutsche Küche kennengelernt, in der Familie meines Freundes und späteren Ehepartners die mediterrane Küche. Geschmeckt hat das eine wie das andere, gesundheitliche Probleme hatte ich keine.
Mit der Diagnose "Neurodermitis" bei unserem Erstgeborenen änderte sich diese lockere Einstellung zum Thema "Ernährung" grundlegend. Er wurde gestillt; das war für mich nach Lektüren wie „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ von Jean Liedloff und "Der Urschrei" von Arthur Janov selbstverständlich.
Totzdem kam es wenige Wochen nach der Geburt zu massiven Hautauschlägen. Der Kinderarzt empfahl die Anwendung einer Kortisonsalbe, die ich aber wegen der Nebenwirkungen ablehnte. Auch die Anmerkung, "nur Geduld, das wächst sich aus", fand ich wenig hilfreich. Vor allem, da es sich um einen juckenden Ausschlag handelte, der dazu führte, dass das Kind nicht nur tagsüber, sondern auch nachts sehr unruhig und weinerlich war. Rat und Hilfe bekam ich schließlich bei einer Neurodermitis-Selbsthilfegruppe. Hier wurde mir eine Ernährungsumstellung auf milcheiweißfreie Vollwertkost empfohlen.
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich damals mit dem Thema "Ernährung" näher befasst und konnte miterleben, wie der Hautauschlag unseres Sohnes im Zuge der Ernährungsumstellung fast vollständig verschwand.Ich stellte mir die Frage, ob sich auch andere Krankheiten durch eine Ernährungsumstellung heilen ließen und die Antwort, die ich der Literatur entnehmen konnte, lautete "Ja!".
Im Herbst 1989 erblickte eine Tochter das Licht der Welt. Nach einigen Wochen traten auch bei ihr Hautauschläge auf, trotz Stillen und einer Ernährung der Mutter mit Vollwertkost. Diese Ernährung schien nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.
Im Winter 1989 begann ich mit beiden Kindern eine Bewegungstherapie, die mir von Mitgliedern der Selbshilfegruppe empfohlen worden war. Die Therapeutin erklärte, dass die Übungen, die ich mit den Kindern durchführen sollte, auch bei mir Heilungsprozesse auslösen könnten. In der Tat kam bei mir einiges in Bewegung, vor allem auf geistiger Ebene. Eine Erkenntnis betraf das Thema "Ernährung": Sie sollte wie bei wilden Tieren roh und naturbelassen sein und wenn sie Heilprozesse im Körper bewirken soll, individuell verschieden. So wie Paracelsus es formulierte: "Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein, und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein."
Ich fing an, mit Rohkost zu experimentieren. Ich habe nicht von heute auf morgen umgestellt, sondern den Anteil an rohen Lebensmitteln ständig erhöht. Irgendwann bekam ich das Buch von Helmut Wandmaker "Willst du gesund sein? Vergiss den Kochtopf!" in die Hände, das mich in meinem Selbstexperiment bestätigte. Dass er in seinem Buch vom Fisch- und Fleischverzehr abriet, passte damals gut zu meinen philosophischen Grundsätzen. Mein Ziel war es, 100%ig roh zu essen, rein vegan, ohne tierische Lebensmittel.
Ich war voller Euphorie und fest davon überzeugt, dass die vegane Rohkost-Ernährung die natürliche Ernährung für den Menschen ist und mit ihrer Hilfe nicht nur die Gesundheit erhalten, sondern auch wieder hergestellt werden kann. Frisches Obst und Gemüse, Wildkräuter, aber auch tropische Früchte standen auf dem Speiseplan. Außerdem verzichtete ich auf Salz. Ich fühlte mich so fit und leistungsfähig wie schon lange nicht mehr. Der einzige Haken an der Sache war, dass ich nie länger wie vier bis sechs Wochen hintereinander roh bleiben konnte. Dann kam trotz heftigster Gewissensbisse die nächste Ausnahme. Gomasio, eine Gewürzmischung der asiatischen Küche, die aus gerösteten Sesamkörnern und Meersalz besteht, war eine der beliebtesten. Ganz außer Kontrolle geriet mein Essverhalten während meiner dritten Schwangerschaft. Die Ausnahmen wurden fast zur Regel, sogar Eier und Fisch habe ich heimlich zu mir genommen. Trotzdem hielt ich weiter an der Vision der veganen Rohkost fest. Ich war davon überzeugt, dass ich nach der Schwangerschaft nicht nur mich, sondern auch dieses Kind 100% roh und vegan ernähren kann. Zu meinem Bedauern konnte ich allerdings weder meine beiden älteren Kinder noch deren Vater von den Vorteilen der veganen Rohkost überzeugen.
Es kam anders wie geplant: Bericht: Vitamin B12-Mangel bei Säuglingen durch vegane Rohkost der Mutter.
Für die Kinder habe ich nach diesen Erfahrungen nicht nur das Experiment Rohkost, sondern auch das der veganen Ernährung abgebrochen. Fisch und Eier kamen in gekochter Form wieder regelmäßig auf den Tisch. Zusätzlich bekamen sie jetzt regelmäßig milchsauervergorene Produkte wie Sauerkraut oder Miso angeboten.
Meine Blutwerte zu dieser Zeit waren übrigens nicht besonders toll, aber auch nicht besorgniserregend. Die Natur opfert wohl im Falle von Unter- bzw. Mangelernährung erst einmal den Nachwuchs. Verständlich, denn ohne die Mutter ist das Kind in jedem Fall verloren.
Für mich ging die Suche nach einer natürlichen und gesunden Ernährung trotz diesen negativen Erfahrungen weiter. Ich war weiterhin fest davon überzeugt, dass eine Ernährung mit rohen Lebensmitteln für jedes Lebewesen geeignet ist. Schließlich ernähren sich sämtliche Wildtiere auf diese Weise. Viele Krankheiten, die den modernen Menschen plagen, sind bei ihnen unbekannt.
Ich probierte es mit Säften, Keimlingen und im Mixer verarbeiteten rohen Gerichten. Auf diese Ideen kommen viele vegane Rohköstler: Sogenannte "Smoothies" wurden lange Zeit als Wundermittel propagiert. Die erste Zeit verspürte ich nach dem Genuss solcher Mixturen wirklich einen Leistungszuwachs. Die positive Wirkung wurde aber mit jedem Monat schwächer und irgendwann kamen mir die Mischungen im wahrsten Sinne des Wortes "zu den Ohren heraus": Ich hatte nicht nur immer wieder mit heftigen Erkältungskrankheiten, sondern auch mit Mittelohrentzündungen zu tun. Aber auch sogenannte natürliche Nahrungsergänzungsmittel wie Spirulina-Algen kamen auf meinen Speiseplan. Ich testete Rohmilchkäse, obwohl ich eigentlich nicht viel davon hielt. Die Erfahrungen nach dem "Genuss" gaben mir recht, am Morgen danach war ich regelmäßig verschleimt.
Die Ergebnisse dieser Art der Ernährung blieben unbefriedigend. Heilungsprozesse, von denen ich annahm, dass sie bei einer Rohkosternährung auftreten würden, kamen nicht in Gang. In den Zähnen breitete sich weiter Karies aus. Außerdem war es mir unmöglich, länger wie ein paar Monate roh zu bleiben; dann kam es immer wieder zu Rückfällen in den Kochtopf, die mich ziemlich frustrierten.
Im Jahre 2000 kam eine weitere Tochter zur Welt. Schwangerschaft und Geburt verliefen problemlos. Während der Schwangerschaft kamen immer wieder starke Gelüste nach rohen Eiern auf, denen ich dieses Mal nachgegangen bin. Selten und mit schlechtem Gewissen aß ich auch gekochten bzw. gebratenen Fisch; ihn roh zu essen kam mir nicht in den Sinn.
Trotz einer im Allgemeinen für gesund gehaltenen Ernährung mit sehr hohem Rohkostanteil traten bei mir dann in den folgenden Jahren vermehrt körperliche und geistige Probleme auf.
Seit 2003 kam es zu häufigen Zwischenblutungen, die sich auch mit ärztlicher Unterstützung nicht besserten. Ich war zwar körperlich weiterhin sehr leistungsfähig und betrieb leistungsorientiert Ausdauersport, aber ich war unzufrieden mit meiner persönlichen Situation. Immer wieder kam es zu Ausnahmen. Meine Konzentrationsfähigkeit und mein Kurzzeitgedächtnis wurden schlechter, Symptome, die von den meisten Menschen zwar dem zunehmenden Alter zugeschrieben werden, für mich aber unerklärlich waren, weil sie nichts mit Alter, sondern mit Krankheit, bzw. Verschlackung zu tun haben. Sie treten bei einem gesunden Menschen genauso wenig auf wie graue Haare oder Haarausfall.
Ende 2006 kam ich auf die Idee, Hilfe übers Internet zu suchen. Beim Suchen des Begriffes "Rohkost" kam ich auf die Seite eines Rohkost-Forums und dort zum ersten Mal seit Beginn meines Rohkost-Experimentes in Kontakt mit anderen an der Rohkost interessierten Menschen. Mir wurde bald klar, dass ich endgültig von der Ideologie der veganen Rohkost Abstand nehmen musste, wenn ich mein Ziel, 100% roh zu leben, verwirklichen wollte.
Moralisch unterstützt durch einen langjährigen Rohköstler habe ich mich an das erste Stück Fleisch herangewagt. Es war Kaninchenkeule. Es war nicht ganz einfach, diese Hürde zu nehmen. Die ersten Fleischportionen lagen im Grammbereich, Innereien wie Leber konnte ich nur in Minimengen essen. Mit der Zeit wurden die Portionen jedoch größer. Der Ekel vor rohen tierischen Lebensmitteln verschwand, das Fleischessen wurde zum Hochgenuss.
Meine Ausgaben für Lebensmittel waren anfangs sehr hoch, weil ich eine möglichst große Auswahl an Lebensmitteln zur Verfügung haben wollte. Viele tropische Früchte sind damals auf dem Kompost gelandet, weil ich wirklich nur nach Bedarf gegessen habe und keines meiner Familienmitglieder die ihnen unbekannten Lebensmittel auch nur probieren wollte.
Interessant war, dass einige Lebensmittel, die all die Jahre vorher regelmäßig auf meinem Speiseplan standen, erst einmal vollständig aus meiner Ernährung verschwanden, dazu gehörten u.a. Bananen, Avocados und Mangos.
Die erste Zeit nach der Umstellung war nicht einfach, denn statt zu Wohlbefinden kam es zu massiven Entgiftungserscheinungen und ich habe sehr viel Ruhe bebraucht. Ich war weder emotional, geistig noch körperlich belastungsfähig, meine sportlichen Aktivitäten musste ich einstellen. Freunde und Verwandte haben sich in dieser Zeit wohl ihre eigenen Gedanken gemacht.
Gut ein Jahr später begann ich mit der Entfernung der Fremdmaterialien aus meinen Zähnen. Während eines Rohkost-Treffens in Frankreich 2008 war mir klar geworden, dass dieser Schritt dringend notwendig ist, um mit der instinktiven Rohkost-Ernährung weiterzukommen. Wie Hahnemann, der Entdecker der klassischen Homöopathie es geschrieben hat: eine Heilung von Körper, Geist und Psyche ist nur dann möglich, wenn alle Hindernisse auf dem Weg zur Gesundheit beseitigt sind. Fremdmaterialien im Mund, die, wie man inzwischen weiß, in vielen Fällen zu Problemen im menschlichen Körper führen können, gehören zu diesen Hindernissen. Wenn man wie ich allerdings nicht nur ein paar Füllungen, sondern sieben Kronen und drei wurzeltote Zähne aufzuweisen hatte, ist das Entfernen dieser Krücken ein abenteuerlicher Weg. Zum Glück habe ich einen Zahnarzt gefunden, der bereit ist, diesen ungewöhnlichen Weg mit mir zu gehen.